Xterra16
Xterra EM in Zittau
Bernd Hagen tobt sich aus
Unser dritter Familienausflug zur O-See-Challenge…
Aller guten Dinge sind drei kann man sagen, schließlich muss es einen Grund geben, sich dreimal hintereinander rund 400km in den äußersten südöstlichsten Zipfel der Republik, kurz gesagt nach Zittau, angrenzend ans Dreiländereck Deutschland, Tschechien, Polen zu begeben. Dass die Region inzwischen größere Bekanntheit erlangt hat, liegt größtenteils daran, dass hier einer der weltweit größten Crosstriathlons namens „o-see-Challenge“ seit Jahren seine Heimat hat. Angefangen hat das mal im Jahr 2000, als „fünf Verrückte“ das erste Mal das Abenteuer Cross-Triathlon wagten. Das sind heute noch zum Teil die Organisatoren. Erinnert an den Mythos Hawaii.
Zittau war vor zwei Jahren Schauplatz der ITU WM, letztes Jahr Austragungsort der DM und heuer Schauplatz der XTerra EM. Im ersten Fall gab es Dauerregen, letztes Jahr dagegen Dauerhitze, heuer dafür ideale Wetterbedingungen. Eine Konstante allerdings gibt es – nämlich die, dass die Atmosphäre hier ihresgleichen sucht. Irgendwie vom Remmidemmi wie die Langdistanz in Roth, allerdings viel persönlicher und nicht so anonym. Crosstriathlon ist noch – zum Glück – weit vom Kommerz des Straßentriathlons entfernt und irgendwie auch ehrlicher. Man kann dort Windschatten fahren, schon klar, bringt nur nicht die Welt. Man sollte auch etwas mehr draufhaben, als am Rad nur Kilometer zu pressen. Sonst landet man recht schnell in der Botanik. Also gerechter eben.
Daher Auto gepackt, Räder von mir und meiner kleinen Nervensäge aufs Auto, Familie rein in die Kiste und ab zum Highlight der Saison. Der kürzeste Weg führt übrigens über Prag, die 12 Euronen für die Maut in Tschechien lohnen sich, man kann bis kurz vor der Deutschen Grenze alles Autobahn bzw. Schnellstraße fahren, von einem kurzen Stadtstück in Prag mal abgesehen. Kleines Kuriosum: Von Tschechien direkt nach Zittau is nich, geht erst mal einen Kilometer durch Polen (von Polen sieht man drei Tankstellen, sonst nicht viel), nächster Grenzübergang und man ist da.
Wie erwähnt, dreht sich in Zittau und im angrenzenden Gebirge einmal im Jahr alles um eins: Crosstriathlon und sonst nix. Da steht eine ganze Region hinter einem Event und das merkt man an allen Ecken und Enden. Es gibt wenige Wettkämpfe, die so perfekt organisiert sind. Und zwar eher mit Herzblut der lokalen Vereine und weniger mit Gewinnmaximierung eines Eventveranstalters. Nach drei Jahren kennt man sich dort bestens aus, die übliche Vorbereitung vor Ort ist reine Routine. Glück hatten wir auch wieder mit dem Quartier: 85m2 Neubauferienbungalow (Preis pro Nacht 65 € + sehr nette Vermieter). Erzähl das mal jemand in Starnberg am See.
Das beruhigende Gefühl, das alles bestens läuft und vorbereitet ist, lässt einen nachts ruhig schlafen, man muss halt erst den sehr anhänglichen Perserkater des Vermieters rausschmeißen. Immerhin hat er dieses Jahr nicht das Fliegenschutzgitter des offenen Schlafzimmerfensters aufgebrochen weil er wieder rein wollte. Wettkampfmorgen, Sonne scheint, alles entspannt, der Weg zum Wettkampfgelände beträgt nur 500 Meter. Einchecken in der Wechselzone am Olbersdorfer See. Das ist ein renaturierter Braunkohletagebau, was man gar nicht glauben kann, wenn es die Infotafeln mit den alten Bildern nicht gäbe. Wo früher nur ein riesen Loch in der Landschaft war, finden sich heute Freizeitanlagen mit Sandstrand und – weltweit einzigartig – das einzige Wettkampfgelände mit angedocktem Shisha-Cafe.
11.33 Uhr Startschuss – das einzige Manko gab es gleich zu Anfang. Eine Startgruppe für alle männlichen Agegrouper mit rund 250 Leuten ist schon etwas heftig. Daher war am Anfang eine ganz schöne Ackerei beim Schwimmen, was kurz vor Ende der ersten Schwimmrunde die erste Schrecksekunde bescherte: Bei dem ständigen hinten-auf-die-Haxn-gepatsche am Anfang scheint der Transponder locker geworden zu sein – und verabschiedete sich in die Tiefen des bis zu 40 Meter tiefen Sees. Beim kurzen Landgang dem Streckenposten Bescheid gegeben, der meinte, „mach einfach erstmal weiter“. Blödes Gefühl in der zweiten Runde. Ständig das „over and out“ in der Birne.
Endgültig nach 1500 Metern an Land angekommen, passierte das Gegenteil von Servicewüste Deutschland. Erst gab ich einer Kampfrichterin Bescheid, die meine Startnummer notierte „Machense weiter, wir wissen Bescheid“… dann Überraschung am Rad: Dort stand bereits jemand mit neuem Transponder. Für jemanden, der miterleben musste, dass Arbeitstage dazu verkümmern, indem sie nur noch aus Mobilboxen, keiner geht ans Telefon, „wir verbinden Sie baldmöglichst mit dem nächsten freien Mitarbeiter“ (Wartezeit 30 Minuten) und den ganzen Horror bestehen, nahezu eine Offenbarung – es gibt in unserer Republik noch Prozesse, die funktionieren!
Das gab Schwung ohne Ende für die anschließenden 36km durch das Zittauer Gebirge. Dieses ist bis zu 800 Meter hoch, Zittau selbst liegt auf gut 200, somit kein Wunder das auf dem MTB knapp 1200 Höhenmeter, teilweise durch bizarre Felsformationen auf uns warteten. Dem nicht genug, für heuer wurde die Strecke mit weiteren Trails modifiziert, inzwischen besteht der Kurs locker zu 80% aus Trail-Elementen. Es gibt ja Wettkampfstrecken, die sind so hochspannend wie tagsüber das Musikprogramm von Bayern 3. Wer das Gegenteil sucht, ist hier genau richtig. Man könnte da auch eine weitere Folge von „Herr der Ringe“ drehen.
Die erste Hürde über den Hochwald mit Tragepassage überwunden, lief es immer besser. Inzwischen sind die verblockten Downhills Routine, die mir bei der ersten Teilnahme selbst als jemanden, der bereits MTB Bundesligakurse bestritten hat, durchaus Respekt entgegenbrachten. Was auffällt: Die Szene besticht durchaus durch Leute, die ihr MTB wirklich beherrschen. Das vermindert deutlich die Sturzgefahr, wenn man bergab einer Gruppe hinterherheizt. Kilometer 25, die letzte große Laktatrampe „Ameisenberg“ vor der Nase, zickte die Schaltung. Warum, erfuhr ich dann auf etwa halber Höhe. Vortrieb von 100% innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde auf 0. Kette gerissen.
Wenn das nach über 30 Jahren Radsport etc. zum ersten Mal passiert, geschieht folgendes: Man glotzt erst mal ca. eine Minute apathisch vor sich hin und nimmt das Beileid der nachfolgenden Teilnehmer in unterschiedlichen Sprachen entgegen. Ist ja eine Europameisterschaft. Und der beste Crosstriathlon den ich kenne. Eben. Dann sammeln wir die Kette halt mal ein und schieben die Kiste bis zum nächsten Downhill. Bergab kann man ja rollen. Unten angekommen peitschten mich die Zuschauer gleich wieder aufs Rad. So geht das bei der o-see-Challenge. Nachdem ich die Sattelstütze nicht absenken konnte (klar, kein Schnellspanner sondern Inbusklemme, ist ja 50 Gramm leichter) bin ich die weiteren Flachpassagen im Tretrollerstyle gefahren.
Dann kamen noch 2 Kilometer Trail. Nachdem auf diesem Abschnitt die einzelnen Distanzen wieder vereint sind, kamen Pulks mit Dutzenden von Fahrern auf einmal von hinten. Also rechts ran und warten, bis wieder frei ist. Danach wieder schieben und kurz rollen. Noch vier Kilometer… Aufgeben ist nicht. Nach rund zwanzig Minuten Zeitverlust war endlich die Schlussrampe vor dem Wechsel in Sicht. Die Menge tobt, meiner Frau ist inzwischen der Arm vom Kamera halten bedingt durch meine Verzögerung abgefallen, ab zum Wechsel, ich finde diese Kette hat es verdient, dass ich sie nicht wegschmeiß. Als Halskette noch voll brauchbar, also ab mit dem Ding zum Laufen.
Die Laufstrecke über gut 9 Kilometer ist ein permanentes Auf- und Ab von kurzen Rampen, die liebevoll in die auf der früheren Abraumhalde entstandenen Kunstlandschaft eingebettet sind. Crosslauf eben, man hat das Gefühl, eher in Skandinavien als in der Oberlausitz zu sein. Und es gab eine weitere Premiere: Diesmal habe ich beim Laufen nur überholt. Zum ersten Mal. Der Laufkurs hat übrigens ein Alleinstellungsmerkmal: Auf der gegenüberliegenden Seeseite ist ein FKK Strand. Und die Laufstrecke geht mitten durch. Ob die Anwesenden beim Anblick meiner Kette dachten, jetzt kommt ihr SM-Herr-und-Meister, kann ich nicht sagen.
Nach gut 3:36 Stunden Zieleinlauf. Ich habe über 20 Minuten vergeigt. Man könnte sich ärgern. Doch die mentale Unterstützung der anderen Athleten (wie gesagt, Cross Triathlon ist einfach noch familiärer) und die der Zuschauer haben das Gegenteil bewirkt. Zittau ist einer der Wettkämpfe, wo das Endergebnis zweitrangig ist. Wenn es irgendwie geht, sollte man auf jeden Fall finishen. Und wenn am Ende nur der 17. Rang in der Altersklasse von 26 angekommenen Teilnehmern in den Büchern steht – vollkommen wurscht. Einfach wiederkommen.
Alleine wegen der Finisherparty am Abend. Ich kenne keine bessere. Und auch keine, wo es sich das Normalovolk gemeinsam mit der Weltelite einer Sportart so gnadenlos besorgt. Leistungstests in den nächsten Jahren kann ich mir auch sparen. Warum ist ganz einfach. „Eat the gun“ (der Name war Programm) hieß die Band aus Münster, die die Stimmung am Ende zum Kochen brachte. Deren Aufforderung, in die Hocke zu gehen und dann auf Kommando so hoch wie möglich zu springen, kamen wir gerne nach. Und es hat bei mir noch funktioniert. Also alles bestens für die nächsten Jahre. Allerdings konnte ich am nächsten Tag nicht sagen, warum ich mich nicht mehr bewegen kann. Lag entweder am ungewöhnlichen Radgeschiebe oder an den Strecksprüngen danach.
Wenigstens noch fit genug, mit Hagen jr. seinen Radkurs abzufahren, standen nun die Kinderwettkämpfe am Programm. Über Nacht setzte heftiger Regen ein und verwandelte die Strecken teilweise in Schlammparadies. Knapp 50 Teilnehmer alleine bei den Schülern C waren eine Ansage. Das waren auch für Felix neue Dimensionen, obwohl er die letzten beiden Jahre auch schon dabei war. Beim Schwimmen etwas eingekeilt im Teilnehmerfeld, gelang dann auf dem Rad der Befreiungsschlag, nach einer ebenfalls guten Laufleistung sprang schließlich Rang 8 von 27 gestarteten Jungs heraus. Somit war die Familienbilanz an dem Wochenende wieder mehr als ausgeglichen.
Inzwischen überlege ich mir schon die vierte Teilnahme. Wenns irgendwie geht, muss ich wieder dahin. Der Virus ist drin und lässt sich nicht beseitigen. Warum und weshalb lässt sich nur beantworten, wenn man selber mal dabei war. Leute mit Erfahrung im Crosstriathlon haben wir ja inzwischen mehr. Ihr solltet das Ding unbedingt mal machen. Auch wenn ihr Gefahr läuft, dass danach das dritte Augustwochenende jedes Jahr verplant ist. Wer Zeit hat, sollte noch ein, zwei Tage dranhängen. Wer mal die Akustik eines Livekonzerts in der Ruine der Klosterburg auf dem Felsen in Oybin erlebt hat, weiß was ich meine!
Infos zum Wettkampf: www.o-see-challenge.de
Infos zum Zittauer Gebirge: http://www.oberlausitz.com/ferien/gebiete/zittauer_gebirge.htm
Infos warum, weshalb und wieso: Bei mir.
Danke dem großartigen Publikum in Zittau, danke den Organisatoren, danke den anderen Teilnehmern, danke den Bands am Abend, danke meiner Familie für das erneut Saugeile Wochenende!
Bernd Hagen
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